Alphonse Bertillon: Kriminalist mit System

Der französische Kriminalist Alphonse Bertillon arbeitet mit System und erstellte eine Verbrecherkartei zur Identifizierung von Tätern.

Ob Fingerabdruck oder DNA-Analyse - heutzutage kann die Polizei bei Ermittlungsverfahren auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Hilfsmittel zurückgreifen. Doch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen systematische Methoden zur Identifikation von Tätern auf. Maßgeblich daran beteiligt war der Pariser Polizeichef Alphonse Bertillon, der ein System zum Wiedererkennen von Verbrechern anhand ihrer Körpermaße entwickelte.
Der Fotoapparat spielte für Bertillon bei seiner Arbeit eine entscheidende Rolle. Jahrelang hatte er nicht nur als Handschriftengutachter, sondern auch als Tatortfotograf bei der Aufklärung von Verbrechen mitgewirkt. 1879 begann der Kriminalist Fotografien von Verhafteten anzufertigen, mit dem Ziel eine umfassende Kartei von Verbrechern und ihrer physischen Merkmale zu erstellen.

Eine Verbrecherkartei entsteht

Innerhalb eines Jahrzehnts holte der Polizeibeamte 10.000 verdächtige Personen vor die Linse. Um die Verdächtigen später besser vergleichen zu können, fotografierte er immer nach demselben Muster. Zu den von ihm festgelegten Standards gehörten zum Beispiel die Positionierung des Fotografierten, das verwendete Objektiv, die Beleuchtung, der Bildausschnitt und die Schärfeeinstellung. Damit wollte Bertillon eine möglichst große Objektivität der Aufnahmen erzielen.

Unangenehme Prozedur

Die Untersuchungshäftlinge mussten sich auf einen Stuhl mit Klemmvorrichtung für Kopf und Rücken setzen und wurden automatisch in drei verschiedene Positionen gedreht und abgelichtet von vorne, im Profil von links und in Dreiviertel-Vorderansicht. Das Profilfoto wurde zusätzlich mit Kennziffer und den wichtigsten Daten der fotografierten Person versehen.

Wehren konnten sich die Gefangenen gegen die teilweise brutale Prozedur nicht. Wer nicht still hielt, wurde mit einem Gurt bis zur Bewegungslosigkeit auf den Stuhl geschnallt.

Von Kopf bis Fuß vermessen

Darüber hinaus mussten es die Häftlinge über sich ergehen lassen, von Kopf bis Fuß vermessen zu werden. Bertillon ging nämlich davon aus, dass die Menschen neben bestimmter optischer Merkmale auch anhand ihres unterschiedlichen Knochenaufbaus eindeutig zu identifizieren seien. Von jedem Gefangenen sammelte er Körpermaße mit peinlicher Genauigkeit: Von der Länge des Mittelfingers bis zur Armspannweite, von der Breite des Kopfes bis zur Augengröße elf Werte wurden vermerkt.

Kurzer Triumph

Die Methode der Anthropometrie - nach ihrem Erfinder auch Bertillonage genannt - breitete sich innerhalb kürzester Zeit von Paris über den gesamten Kontinent aus. Von Berlin bis London, von Wien bis Hamburg wurden Messbüros eingerichtet und Verbrecherkarteien mit Tausenden von Lichtbildern angelegt. 1897 machte man das Verfahren offiziell zur Grundlage des Erkennungsdienstes für ganz Deutschland.

Daktyloskopie verdrängt Bertillonage

Doch Bertillon triumphierte nur für kurze Zeit. Bereits fünf Jahre später wurde seine Methode durch das Fingerabdruckverfahren abgelöst. Jahrelang als echtes Indiz angezweifelt, wurde ein Fingerabdruck erstmals 1905 in einem Londoner Doppelmord-Prozess als unumstößliches Beweismittel akzeptiert.

Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs verdrängte die Daktyloskopie auch in Frankreich die Bertillonage. Ihr Erfinder, der die Überlegenheit des Fingerabdruckverfahrens bis zu seinem Tod nicht akzeptierte, starb verbittert am 13. Februar 1914. Er konnte nicht anerkennen, dass die von ihm entwickelte Methode durchaus zu Verwechslungen führen konnte und nicht immer hundertprozentig objektiv war.

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